Egotoronic - Ihr seid doch auch nicht besser (Audiolith)

Kaum ein Album dürfte die Lager so klar trennen wie das neue Werk von Egotronic. Die extreme Linke wird es feiern, die Nazis müssen es hassen und all diejenigen, die sich in der Mitte verorten bekommenen eins auf die Fresse. Zu recht. In Zeiten des Rechtsrucks, der durch die gesamte Gesellschaft geht, tut es gut so dermaßen klare Positionen zu hören.
Torsun Burkhardt arbeitet sich auf diesem Werk vor allem an der Hufeisentheorie, welche besagt, dass wenn der rechte Rand erstarkt dies auch der linke tut, bis diese sich soweit angenähert haben, dass sie quasi nicht mehr zu unterscheiden sind, ab. Das zieht sich quasi wie ein roter Faden durch die Platte. Gleich im zweiten Stück, und der ersten Single, Linksradikale wird die Frage gestellt wo sie denn nun sind, die gewaltbereiten und sich durch die Republik mordenden Linken? Gibt es die überhaupt? Während es am rechten Rand Netzwerke bis in höchste Kreise, Bewaffnungen, über 200 Morde seit den 90er Jahren, NSU und Hannibal, ein Nazi Problem bei Polizei und Bundeswehr gibt. Das ist keinesfalls eine Dystopie oder zynische Bestandsaufnahme. Das ist Bundesdeutsche Realität. Und Egotronic benennen sie schonungslos und vor allem klar. Man kann die Texte schlicht nicht falsch verstehen. Ob Boris Palmer, Horst Seehofer oder gar die gesamte SPD, sie alle bekommen den Zorn dieser Band zu spüren.
Es gibt aber auch noch ein paar andere Themen. In "Wie Dr. House" geht es um Schmerzen und das hoffen darauf, dass die Medikamente wirken. Und auch hier ist die Botschaft klar. Das kann klappen, muss aber nicht. Burkhardt singt hier verzweifelt aus eigener leidvoller Erfahrung, wie auch schon in "Angst vor dem Schmerz" vom Vorgänger "Keine Argumente" oder "Kriegserklärung!" mit Koljah von den Antilopen. Selten habe ich einen so persönlichen Song über echte körperliche Schmerzen gehört  der so catchy, ja fast schon cheesy daher kommt. Der perfekte Hit, wenn da eben nicht der Text wäre. Wenn Burkhardt im Refrain mit Vocoder Stimme intoniert "Wie Dr. House, schmeiß Pillen  ein wie Dr. House" ist das im gleichen Maße tanzbar wie absurd. Gefolgt von dieser einfachen aber absolut einprägsamen Synthmelodie.
Wo wir bei der Musik wären. Denn hier ist Egotronic etwas erstaunliches gelungen. Sie haben die perfekte Mischung aus dem frühen 8Bit Sound und dem Gitarrenpunk der letzten Alben gefunden. Im Prinzip besteht diese Platte aus vierzehn verdammten Hits. Würde Torsun über Befindlichkeiten und skurrile Alltagsbeobachtungen singen, dann wäre das hier vermutlich die große Konsenzplatte des Jahres 2019. So ist sie aber viel mehr. Eine Standortbestimmung, ein Aufruf endlich aufzuwachen, ein klares Statement gegen alles rechte. Und das ist 2019 viel wichtiger als sich verstanden zu fühlen und war in der (Pop) Geschichte der Bundesrepublik vermutlich noch nie gefährlicher. Denn es sind die neu erstarkten Nazis, die morden.
tetx.sven



EDIT/EXKURS
Da im obigen Review die Hufeiesentheorie von Jean-Pierre Faye aus den 1990er Jahren nur ungenügend angerissen wurde, auch um den Rahmen eines Reviews nicht zu sprengen, hier nochmal ein kleiner Exkurs.
Im Kern besagt sie, dass es eine nicht radikale Mitte gibt, welche ein gewisses Spektrum zulässt wobei sich dann die radikalen Enden soweit annähern , dass sie am Ende fast gleich sind bzw extrem viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Aus Sicht von Egotronic (sowie auch aus meiner persönlichen) ist das hanebüchenere Unfug.
Wer es noch etwas detaillierter braucht um sich ein eigenes Bild zu machen sei dieser Link empfohlen:
https://www.bedeutungonline.de/hufeisentheorie-hufeneisenschema-was-ist-das-politisches-spektrum-bedeutung/