Manifesto


Da sitze ich also mitten in der Nacht vor einem leeren, weißen, virtuellen Blatt. Es besteht vermutlich aus Nullen und Einsen, aber so genau weiß ich das gar nicht, weil ich von Programmiersprachen und Technik und wie das alles ganz genau funktioniert keine Ahnung habe. Vermutlich hätte ich diese Zeilen vor  fünfundzwanzig Jahren noch in eine Schreibmaschine gehackt, den Text ausgeschnitten, collagiert mit Schere und Pritstift und Resten aus der Bravo, das ganze in den nächsten Copyshop getragen und voller Eifer ein Fanzine über nichts weniger als Punk und Nerdkram rausgebracht. Ich hätte das dann vermutlich bei kleinen, schmutzigen Konzerten an nicht ganz so schmutzige, kleine Punks für ein oder zwei Mark verkauft. Und es hätte mir die Welt bedeutet.
Heute geht das anders. Heute überlegt man sich eine Namen der noch keine Domain hat, macht sich eine Mail mit dem Namen, sucht sich einen Blogghoster mit WYSIWYG Baukasten und teilt der Welt mit was einem gerade so in den Sinn kommt. Der Normalzustand ist, dass das ganze nur die treusten Freunde erreicht und man vermutlich in den guten, analogen Zeiten mehr Reichweite hatte und seine Daten dafür nicht einmal an ein Unternehmen verhökert hat. Höchstens die Postleitzahl für den Copyshop.
Warum findet der Village Recorder also nicht auf gutem, alten, bewährtem Papier sein zu Hause? Warum nicht wie früher rausgehen und die Menschen nerven bis sie so ein Teil mitnehmen um es dann vermutlich nicht einmal auf dem Klo zu lesen? Um es nach einer guten Show aufgeweicht im Rinnstein vor dem AZ zu finden oder Punks zu sehen die sich Tipps daraus basteln für einen schlechten, also wirklich sehr schlechten Joint? 
Die Antwort ist einfach wie naheliegend. Weil es einfach und bequem ist. Meine Zeit ist begrenzt, aber der Enthusiasmus lässt mir keine Ruhe. Da sind zu viele gute Bands und Künstler in meinem Dorf von denen es zu berichten gilt. Also warum sich zu viel Mühe machen wenn man das ganze unmittelbar mit der ganzen Welt teilen kann, auch wenn es sie nicht zwingend interessieren wird? Aber die Chance, das es das doch tut, besteht. Zumindest wollen wir das glauben. Ich will das glauben. Nicht wirklich.
Von welchem Dorf ich berichte? Dem Dorf in meinem Kopf. Dem Ort an dem es egal ist ob sich etwas viel verkauft, ob etwas erfolgreich ist,, oder als vielversprechend angesehen wird. Ein schöner Ort. Und ein aufregender Ort. Für mich. In diesem Dorf leben vor allem MusikerInnen und diverse andere Menschen und der Recorder soll ihre Zeitung und ihr Sprachrohr nach draussen sein. Zu euch, die ihr das hier lest. Weil ihr vermutlich zu viel Zeit habt. Oder gelangweilt seit. Oder permanent in euer Endgerät starrt. Ich will ausnahmslos die guten Geschichten erzählen. Geschichten von kleinen Bands und ihren Werken, von Künstlern und dem was sie tun, von den Menschen dahinter oder auch nur von dem was ich höre wenn ich wirklich hinhöre. 
Neid,Missgunst und Hass gibt es schon zu genüge im Netz, dafür ist in meinem, in diesem  Dorf kein Platz. Kommt also gerne vorbei, auf einen Kaffee oder zwei, ein paar Zigaretten, mitten in der Nacht oder irgendwann am Tag, auch wenn das absolut unvernünftig ist. Aber was ist schon vernünftig in diesen Zeiten? Nichts wirklich.
Bild: Iris Friedrich Photography

















Text: Sven